Das Restaurant Caprice in Hongkong ist ein Restaurant, das so manch einer süffisant ignoriert, während er lieber am nächsten Streetfood-Stand fermentierten Tofu zu sich nimmt. Das Hotelrestaurant im Four Seasons, mit französischer Küche, einschlägigen Luxusprodukten und Fine-dining-Atmosphäre inklusive Kronleuchtern sucht eben nicht jeder Esser in einer fernöstlichen Stadt.
Doch für mich atmet das Caprice aus allen Poren das moderne, weltoffene Flair von Hongkong. Schließlich lebt die asiatische Metropole nicht zuletzt von ihren internationalen Einflüssen. Der offene Handel und die umsatzstarke Finanzbranche spülen dazu Geld an Land, das ausgegeben werden möchte. Das wiederum lockt Besucher und Expats an, die ebenfalls bereit sind, es sich hier gutgehen zu lassen. Kombiniert man den Anspruch von internationalem Publikum mit beeindruckender Architektur und locker sitzendem Budget, hat das Caprice mehr mit Hongkong zu tun als man bei erster Betrachtung meinen könnte.
Man betritt das Restaurant über den Eingangsbereich im sechsten Stock des Hotels. Wenn man im Hotel wohnt, geht man öfter hieran vorbei, denn in derselben Etage geht es auch zum Spa und zum Außenbereich des Hotels.
Im Caprice führt erst seit letztem Jahr der charismatische Franzose Guillaume Galliot Regie, der inzwischen dritte Küchenchef in diesem Haus. Mit ihm will man offenkundig den dritten Michelin-Stern zurückholen, der über dem Haus vor einigen Jahren schon einmal leuchtete. Bei einer Stippvisite hier im Januar hatte ich zumindest schon den Eindruck, dass das Essen in diese Richtung zielt.
Das Interieur ist freundlich, hell und sehr geräumig. Innenarchitektonisch geschickt voneinander getrennte Essbereiche lassen das Restaurant trotz seiner Größe gemütlich wirken. Die große, offene Küche, die für ein Restaurant, das auf klassischen Luxus setzt, untypisch ist, lockert die Atmosphäre weiter auf. Es ist angenehm klimatisiert, erfreulich belebt, und der Ausblick auf den Victoria Harbour ist atemberaubend. In einer solchen Umgebung kann ich unmittelbar entspannen. Und jetzt bitte her mit der Speisekarte und einem Glas Champagner.
Ich weiß gar nicht, wie ich mich entscheiden soll. Die Speisekarte liest sich wie das Zutatenverzeichnis des besten Restaurants des Schlaraffenlands. Nach einem kurzen Dialog mit dem Service macht man es mir einfach und bietet mir an, dass der Chef entscheidet. Omakase also. Gerne lass ich mich auf den Vorschlag ein. Auf meiner Hotelrechnung wird sich das rächen.
Den Auftakt des Essens macht luxuriöses Knabbergebäck zum Aperitif. Es gibt ein Häppchen mit Balik-Lachs, Blumenkohl und chinesischem Kaviar, ein weiteres Gebäck mit Tomaten-Concassée, altem, geschmacklich faszinierend intensivem Parmesan und italienischem Schinken, sowie ein an Pita angelehntes, luftig-knuspriges Gebäck mit Curry-Mousse. Jeder einzelne Snack ist präzise umgesetzt noch viel wohlschmeckender als es das unkomplizierte Aussehen vermuten lässt. Ein exzellenter, unverkopfter Start. —
Mein erster Gang rankt um das Thema Königskrabbe aus Alaska (ca. € 90*). Eine große Menge des gezupften, edlen Meerestierfleischs ist von absoluter Spitzenqualität und befindet sich hier auf einem gelierten Fischfond. Dessen Meeresaromen passen wunderbar zu dem mild süßlichen, leicht gekühlten Krebs, während eine Fenchelcreme, junger Koriander und eine sehr große Nocke Kaviar das vor frische strotzende Geschmacksbild komplettieren. Eine Wucht. —
Für den zweiten Gang verwendet Küchenchef Galliot eine für diese Saison letzte Lieferung Tomaten von seiner Mutter (!) aus der Loire-Region. Er serviert das geschmacksintensive, sonnenverwöhnte Gemüse auf einem kühlen Gazpachogelee und mit exzellenter Burrata. Säure, Umami, Süße, etwas Salz, herausragende Produkte: dieser Teller hat alles, was das spätsommerliche Herz begehrt. —
Für das nächste Gericht wird ein Beistelltisch angerollt, auf dem ein großes, eiförmiges Gefäß aus Kupfer thront. In dem Christofle-Ei befindet sich ein faustgroßer weißer Trüffel aus Alba. Die Qualität des Edelpilzes liegt im wahrsten Sinn in der Luft. Trüffeln zählen für mich mit zu den Produkten, bei denen man am wenigsten Kompromisse eingehen kann, was Frische betrifft. Daher mache ich in der Regel um vieles, das mit Trüffel zu tun hat, einen großen Bogen ‒ außer in der Spitzengastronomie. Und selbst dort ist man vor mäßigeren Qualitäten nicht immer sicher.
Dieses Exemplar ist auf Referenzniveau. Küchenchef Galliot lässt es sich nicht nehmen, den Trüffel persönlich über seine nächste Kreation zu hobeln. Diese ist ein Potpourri aus exquisitem Allerlei. Es gibt bretonischen Hummer, gebratene Foie Gras, Steinpilze, gehobelte Zitronatzitrone (Buddha’s Hand) und geröstete italienische Haselnüsse auf einer süffigen Melange von Kürbispüree und einer Sauce auf Hühnerfondbasis mit Parmesan und etwas Schnittlauch (€ 150). Es wirkt fast als hätte Galliot ein Gericht aus luxuriösen Kühlschrankresten zusammengewürfelt. Aber die Kombination ist perfekt. Die Qualitäten der Produkte sind frappierend, die Zubereitung makellos, und der Wohlgeschmack des gesamten Gerichts lässt mir einen wohligen Schauder den Rücken herunterlaufen. Wenn man ein luxuriöses, dekadentes Gericht servieren möchte, dann genau so, in diesen Qualitäten und dieser Perfektion. —
Es geht weiter mit der Demonstration phänomenaler Produkte. Kinki fish stammt aus der Familie der Skorpionfische und ist mir bisher nur in Japan auf dem Teller begegnet. Er wurde auch von dort bezogen und tagesfrisch hierhergebracht. Das Filet, das optisch an Roten Schnapper erinnert, aber ein transparenteres Fleisch aufweist, findet man auf diesem Teller in einem buttrigen Safran-Krustentierjus mit einem Hauch Koriander. Die Sauce ist grandios, perfekt ausgewogen und anspruchsvoll mit hervorragendem Safran akzentuiert. Frische und Umami steuert zu dem Gericht eine Nocke Tomatenconcassée bei, etwas Salz eine üppige Portion Kaviar ‒ wie könnte es hier auch anders sein. Der nur sehr behutsam gegarte Fisch ist äußerst zart und leicht mit dem Löffel zerteilbar. Die Haut ist sehr fein, wie eine hauchdünne Membran. Das Fleisch ist geschmacklich elegant, fast flüchtig und dennoch präsent. Ein absolutes Ausnahmeprodukt in einem perfekten Ensemble. —
Weiter geht das Mahl mit Lamm aus dem Aubrac (€ 88). Ein gebratenes und am Feuer fertiggegartes Stück vom Sattel ist wunderbar marmoriert, sehr zart und von Weltklassequalität. Eine leichte, aber geschmacklich intensive Sauce mit Raz el Hanout und Vadouvan bringt betörende, sehr passende Exotik ins Spiel. Zusätzlich gibt es noch ein geschmortes Stück, das mit einer dichten dunklen Sauce lackiert ist. Auberginenkaviar und eine Piperade sind beide perfekt gewürzt und fügen eine passende Bodenständigkeit hinzu. Ein weiterer Teller auf Spitzenniveau, noch besser als die Version, die ich hier im Januar probiert habe. —
Eine Käseauswahl (€ 30) sollte sich hier niemand entgehen lassen. Das Caprice verfügt über den für ein Restaurant weltgrößten Vorrat an Käsen des Affineurs Bernard Antony. Leider war der ansonsten begehbare Käseraum wegen Renovierungsarbeiten heute nicht zu besichtigen. Die Auswahl ‒ ich bat vergebens um eine kleine ‒ enthält lauter Sorten in hervorragender Qualität und Reife, u. a. Reblochon, Coulommiers, Fourme d’Ambert, Comté und Mimolette. Letzterer wird zusätzlich mit etwas balsamico tradizionale beträufelt, dazu gibt es noch ein Glas Madeira, ein 1973er D’Oliveiras Boal Reserva. Besser kann man Käse kaum genießen.
Als Pré-Dessert beglückt eine säuerlich-süße Erfrischung mit Grapefruit, Koriander und Minze den Gaumen (
).Für das eigentliche Dessert (€ 25) wird erneut ein Rollwagen an den Tisch gebracht. In einer verheißungsvollen Staub-Cocotte garen zwei Feigen in einem süßen Sud mit Sternanis, Feigenblättern, Wacholder und Zimt. Der einnehmende Duft erinnert mich an Sonnenöl, gebräunte Haut und Strandurlaube und lässt mich tief durchatmen. Die zwei Feigen, absolute Prachtexemplare, werden begleitet von kleinen Orangenküchlein mit Joghurt-Zitronen-Eis. Auf die Feigen wird noch eine aufgeschäumte Mandelcreme gegeben, etwas Abrieb von einer Zitrone aus Menton vervollständigt ein großartiges, unbeschwertes Dessert. —
Inzwischen sind drei Stunden vergangen. Müsste ich nicht nachher zum Flughafen, würde ich wohl einfach zum Abendessen bleiben. Die unkomplizierte Spitzenküche aus der Hand von Galliot und seinem Team erfindet das Rad sicher nicht neu, hat aber gerade deshalb Seltenheitswert. Es ist eine Küche, die weder ihren Chef noch ein Konzept in den Mittelpunkt stellt, sondern ausschließlich die Güte der Zutaten und den Genuss. Die Preise dafür sind hoch, aber für derartige Qualitäten keinesfalls astronomisch. Die Sterne sehe ich hier eher an anderer Stelle leuchten. Da müsste eigentlich auch noch einer sein, da, neben den anderen.
* Da ich versäumt habe, mir eine Einzelrechnung für das Essen aushändigen zu lassen, sind die Preise der Speisekarte entnommen.
Informationen zu diesem Besuch | |
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Restaurant: | Caprice (→ Website) |
Chef de Cuisine: | Guillaume Galliot |
Ort: | Hongkong, China |
Datum dieses Besuchs: | 01.10.2018 |
Guide Michelin (HK/MAC 2018): | ** |
Meine Bewertung dieses Essens (?): | |
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