Das Restaurant mit der chinesischen Glückszahl 8 im Namen ist das zweite Drei-Sterne-Restaurant im Grand Lisboa Hotel in Macau – das weltweit übrigens einzige Sternbild dieser Art in einem Haus. Nach meinem kulinarisch französischen Auftakt dieser Reise einen Abend zuvor bei Robuchon au Dôme ein paar Dutzend Stockwerke weiter oben, bin ich an diesem Mittag im The Eight, dessen Küche u. a. für die Dim Sum berühmt ist. Es gibt zwar, wie ich gleich feststellen werde, noch unzählige anderer Speisen, unterteilt in diverse Kategorien, von „Geflügel“ über „Reis und Nudeln“ bis zu „Vogelnest“ und „Haifischflosse“.
Doch heute Mittag möchte ich nur Dim Sum probieren. Es wird meine erste Begegnung mit authentischen (obwohl hier auch schon etwas kreativeren) Exemplaren dieser chinesischen Spezialität.
Das aufwändige Dekor des Restaurants ist in Rot und Schwarz gehalten und bewegt sich damit von der Farbgebung irgendwo in der Nähe vom Tantris und den Ateliers von Robuchon, wobei ich beiden jeweils eine gehörig größere Portion Behaglichkeit zuschreibe. Aber das ist letztlich Geschmackssache.
Mit einiger Unterstützung des freundlichen Personals – und auch etwas auf gut Glück – stelle ich mir eine kleine Auswahl zusammen. Üblicherweise kommt jede Portion (ca. € 7) mit drei Teilen, aber man ist hier sehr flexibel und serviert von jedem Dim Sum auch gerne nur ein Stück, damit man möglichst viele unterschiedliche verkosten kann. Ein Stück kostet dann also nicht einmal € 2,50, der vermutlich kleinste Betrag, den ich für irgendetwas kulinarisch Bedeutsames jemals bezahlt habe.
Bevor die Batterie kleiner Köstlichkeiten serviert wird, gibt es ein Amuse-Bouche, bestehend aus zwei Snacks: Abalone und Grapefruit, sowie ein kleines Teigförmchen mit Rind, Sellerie und Pinienkernen darin. Man würde es vom ersten Anblick nicht sofort erwarten, aber beide sind nicht weniger als phänomenal. Die dazu extra bestellte Sauce – „Premium XO mushroom sauce“ – setzt süßlich-scharfe Akzente. Alle Zutaten sind einzeln zur Perfektion gegart bzw. zubereitet, und pikante Aromen und spannende Texturen sorgen für Freude in dieser kuriosen, fensterlosen Umgebung.
Es geht dann auch gleich los mit den Dim Sum. Zunächst traue ich meinen Augen kaum, als die Kellnerin ein silbernes Töpfchen vor mir öffnet und darin zwei Petitessen zum Vorschein gelangen, für deren Zubereitung ein zusätzlich als Uhrmacher ausgebildeter Koch sicherlich von großer Hilfe wäre.
Bei diesen Dim Sum aus der Kategorie „steamed dumplings“ (gedämpfte Teigtaschen) handelt es sich bei dem grünen Exemplar um eines mit Hummer, Trüffel und Spargel (würzig, herzhaft, überraschend zart – hervorragend!) und bei dem goldfischähnlichen Exemplar um „Steamed Cristal Blue Shrimp in Goldfish Shape“, welches ausschließlich Beschreibungen wie delikat, aromatisch und wunderbar zulässt. Diese weiche, dünne Beschaffenheit der Teighülle! Sagenhaft.
Wie ich erst hinterher erfahre, bezieht sich Cristal tatsächlich auf den teuren Champagner, in dem die Garnele angeblich gedämpft wurde. Natürlich hat das mit authentischer chinesischer Küche so viel zu tun wie California Rolls mit Sushi, aber hier in Macau befriedigt es den unübersehbaren, nicht stillbaren Durst der hier vorzufindenden Klientel nach westlichen Luxusgütern. Aber was soll’s? Die kleinen Wunderwerke schmecken phänomenal und sind schon jetzt jeden Flugkilometer wert, ganz egal, worin sie gebadet haben. Wo sonst sollte man so etwas probieren können? Mehr davon!
Mit zwei weiteren steamed Exemplaren fährt das Mittagessen fort, zunächst mit einem dumpling mit Abalone und Schwein. Dieser kombiniert die spezielle, gummiartige, irgendwie verrückt gute, Textur der Abalone mit rauchigen und herzhaften Aromen. Genial! Eine für mich neuartige, vielschichtige Geschmackswelt auf kleinstem Raum.
Die weitere Kleinigkeit dieser Servierrunde offenbart eine bemerkenswerte Zubereitungsart, bei der sich eine flüssige, heiße Brühe im Inneren der Teigtasche befindet. Diese Spezialität heißt Xiao Long Bao ( 小笼包 ). Bei diesem Exemplar ist die Füllung eine Hühneressenz, die mit gereifter Mandarinenschale aromatisiert ist. Das Aroma der Mandarine ist dabei nur leicht angedeutet. Traumhaft. Dazu verwendet man traditionell noch etwas aromatisierten Rotweinessig, der einen scharfen, frischen Kontrast beisteuert. Aber Vorsicht: das Innere ist so heiß, dass ich vermute, die Chinesen haben vielleicht den ersten funktionsfähigen Fusionsreaktor erfunden.
Als nächstes folgen gedämpfte und grob zerhackte Spare Ribs mit Thai-Kräutern und schwarzen Bohnen. Die gedämpften Stückchen ziehen in einem heißen Garjus vor sich hin, von dem ätherische, süßlich-frische Aromen von Thai-Basilikum, Chili und Pfeffer in meine Atemwege steigen und dort für Wohlbefinden sorgen. Der Knochen ist jeweils noch an den Stückchen dran; man knabbert das Fleisch im Mund einfach davon ab. Ein Hochgenuss voller feiner Aromen von dieser Seite der Welt.
Für noch mehr Erstaunen bei mir sorgt die nächste Runde. Zwei Miniaturtiere schmücken nun den folgenden Teller. Es handelt sich um Crispy Barbecued Pork Buns with Preserved Vegetables (in Igeloptik) und Baked Puff Pastry with Abalone and Roasted Duck (in Schwanenoptik). Wenn es irgendeine Speise gibt, die zu schön zum Verzehr sein kann, dann diese beiden Tierchen. Aber es nützt ja nichts: ich beiße dem Igel – dessen ungefähr 200 „Stacheln“ einzeln per Hand geformt wurden – den Kopf ab und bin überrascht über den weichen, leichten Teig, der im Inneren ein süßlich-herzhaftes Gemisch aus würzigem, zartem Schweinefleisch und fernöstlichen Aromen zutage bringt. Außergewöhnlich!
Das ist meine erste Begegnung mit dieser gebackenen Form von Dim Sum, die durch eine milde Süße sowie herzhafte Zutaten irgendwo zwischen einem Dessert und einem Hauptgericht einzuordnen ist. Doch wer so kategorisiert, denkt bereits zu westlich. Das hier ist einfach was es ist, und es ist exzellent.
Auch dem Vogel sieht man zunächst nicht an, wie gut er schmeckt, schmücken scheinbar trockene Zutaten sein Äußeres. Doch beißt man dann hinein, erfreut sich der Gaumen an einem knusprig-warmen Gemisch und der stets interessanten Textur und hofft auf weitere dieser Gaumenfreuden, denen man mühelos – wie ich – ein ganzes Essen widmen kann.
Ich habe nicht viel Zeit an diesem Mittag, doch zwei der kleinen Wunderwerke folgen noch: eine gebackene Tartelette mit Krebsfleisch und Curry-Sauce sowie, in Grün, ein gedämpfter Dim Sum mit „Fisch-Mousse und konserviertem Fleisch“, beides ähnlich exzellent wie alles zuvor. Wieder interessant – hier bei dem Küchlein in Krebsoptik –, dass die von außen eher trocken anmutenden Kleinigkeiten sich am Gaumen als besonders saftig entpuppen, da sie stets heiß und saftig gefüllt sind.
Ein Dessert möchte ich allerdings noch probieren und folge der Empfehlung, die Chilled Mango Sweet Soup mit Pomelo und Erdbeere zu probieren (ca. € 5), die mir in ähnlicher Form noch ein anderes Mal begegnen wird. Das Gericht verliert sich etwas in seinem üppigen Volumen, ist aber recht erfrischend, und die Aromen sind authentisch exotisch.
Alleine in chinesischen Restaurants zu speisen ist eine Herausforderung. Zu viele Gerichte – meist weit über Hundert – möchten verkostet und geteilt werden. Es gibt hier Unfassbares, so zumindest den Fotos und Beschreibungen nach zu urteilen, die die Speisekarte zieren. Meerestier in Hülle und Fülle, Fleisch in verschiedensten Zutaten, Saucen aller Art … Die Speisekarte ist ähnlich umfangreich wie die hauptsächlich auf große Namen setzende Weinkarte. Doch bereits dieser erste, ganz kleine Einblick in eine neue Welt hat mich stark beeindruckt!
Eine Reise wert? Trotz aller Widrigkeiten dieser seltsamen Stadt: für neugierige Essverrückte keine Frage!
Informationen zu diesem Besuch | |
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Restaurant: | The Eight (→ Website) |
Chef de Cuisine: | Au Kwok-keung |
Ort: | Macau, China |
Datum dieses Besuchs: | 02.04.2015 |
Guide Michelin (HK/MAC 2015): | *** |
Meine Bewertung dieses Essens (?): |